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Historisches Bewusstsein heute

Historische Bewusstseinbildung

Die im Wandbild von Dr. Edeltraud Sießl dargestellte Revolutionsszenerie fasst drei Stränge zusammen: die Euphorie der Freischärler, deren militärische Mittel und den Barrikaden-Mythos.

Historische Bewusstseinsbildung darf sich jedoch nicht nur allein von Stimmungen und Mythen leiten lassen. Als begründete Stellungnahme zu einem geschichtlichen Problem (Ereignis, Entscheidung, Konflikt) ist sie insbesondere unter normativen und ethischen Gesichtspunkten zu sehen.

Normativ bleibt vor allem das Grundgesetz zu bedenken. Das darin in Artikel 20.4 verbürgte Widerstandsrecht legt fest: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ – „Ordnung“ bezeichnet dabei das Verfassungskonzept von Grundrechten, Volkssouveränität und Gewaltenteilung.

Die 1848/49 bestehende „Ordnung“ war jedoch eine andere. Ein konstitutionell gesichertes Widerstandsrecht gab es nicht.

Rheinhessische Freischaren

Die rheinhessischen Freischaren rekrutierten sich einerseits aus den örtlichen Bürgerwehren, andererseits aus spontanen Unterstützern.

Die Wurzel in der Bürgerwehren zeigt sich schon darin, dass Franz Zitz einer der beiden Kommandeure der rheinhessischen Freischaren in Kirchheimbolanden, sein politisches Engagement als Obrist der im Februar 1848 gegründeten Mainzer Bürgerwehr begonnen hatte.

Die zweite Wurzel der rheinhessischen Freischaren war das geschaffene „Rheinhessische Provinzialkomitee zur Durchführung der Reichsverfassung“ mit dem Sitz in Wörrstadt. In seinem Namen erließen Bamberger und Zitz eine Marschordre, die insbesonders über Turnvereine verbreitet wurde:

Alle Bewohner von Rheinhessen, welche sich verpflichtet haben und verpflichtet halten, für die deutsche Verfassung einzustehen, werden durch Gegenwärtiges beordert, sich so gut, wie sie irgend können, mit Schuß-, Hieb- und Stichwaffen, Munition und

Lebensmittel zu versehen und sogleich bei Empfang dieses Befehls aufzubrechen und bis Donnerstag, den 10. Mai 1849 abends, sich in Wörrstadt einzufinden, um von da aus weiter zu marschieren.

Einer der Teilnehmer an diesem Marsch berichtet am 16. Mai 1849 in einem Brief:

Als wir von Wörrstadt wegmarschierten, kamen wir mittags nach Alzey, wo wir […] auf das Beste aufgenommen wurden. Wir bekamen soviel zu essen und zu trinken, daß wir alle, an 3000 Mann, den Wein spürten. In Niederflörsheim teilten wir uns; die Alzeyer, Binger und Oppenheimer kamen nach Monsheim […]. Um 6 Uhr kamen wir dort an und wurden so empfangen, daß wir selbst darüber erstaunten. Sie können sich denken, die Bauern schimpften einander, wenn einer nicht mehr Einquartierung als der andere erhielt; einer nahm 86 Mann, ein andere 76, jeder mindestens 10-15; ja wir mußten noch 100 Mann von den anderen holen, um die Bauern befriedigen zu können. Am anderen Morgen marschierten wir nach Kirchheimbolanden […] und wurden in jedemDorf mit Wein und Musik empfangen. […] Unsere Avantgarde ist 1200 Mann stark, lauter Schützen.

Es waren aber nicht nur Schützen, die nach Kirchheimbolanden marschierten. Ebenso waren „Sensenmänner“ dabei, dazu auch völlig Unbewaffnete.

 

Eine Begegnung mit Freischärlern in Kirchheimbolanden

Die Freischärler-Plastik auf dem Platz am Grauen Turm strahlt eine Romantik aus, in der sich ohne Zweifel die meisten der „Männer der Tat“ auch sahen — Männer der Tat sind sie in einem Bericht genannt, den im Februar 1850 die „Rheinische Zeitung, Politisch-ökonomische Revue“ publizierte:

Wir saßen abends mit mehreren Freischärlern im Gasthof. Unter [ihnen] waren einige jener ernsten, begeisterten „Männer der Tat“, […] die gar keine Schwierigkeiten darin sahen, mit wenigen Waffen und viel Begeisterung jede beliebige Armee der Welt zu schlagen. Es sind Leute, die vom Militär höchstens die Wachtparade gesehen haben, die sich überhaupt nie um die materiellen Mittel zur Erreichung irgendeines Zwecks bekümmern und die daher meistens, wie ich später mehrfach zu beobachten Gelegenheit hatte, im ersten Gefecht eine so niederschmetternde Enttäuschung erleben, daß sie sich eiligst auf und davon machen. Ich frug einen dieser Helden, ob er wirklich vorhabe […] , die Preußen zu schlagen, und war überhaupt im besten Zuge, mich über die heilige Entrüstung des in seiner edelsten Begeisterung verwundeten Mannes der Tat zu amüsieren, als die Wache eintritt und mich für verhaftet erklärte. […] Zugleich stand ein alter Bekannter von mir, Hauptmann im rheinhessischen Korps, auf und erklärte, wenn ich verhaftet würde, werde er und eine bedeutende Anzahl der besten Leute des Korps sofort verlassen. Die Anwesenden spalteten sich in zwei Parteien, die Szene drohte interessant zu werden und ich erklärte, ich werde mich natürlich mit Vergnügen verhaften lassen: Man werde endlich sehen, welche Farbe die Pfälzer Bewegung habe. Ich ging mit der Wache.

Am nächsten Morgen wurde ich nach einem komischen Verhör […] dem Zivilkommissär und von diesem einem Gendarmen übergeben. Der Gendarm, dem eingeschärft worden war, mich als Spion zu behandeln, schloß mir beide Hände zusammen und führte mich zu Fuß ab, angeklagt der Herabwürdigung der Erhebung des pfälzischen Volkes und der Aufreizung gegen die Regierung, von der ich beiläufig kein Wort gesagt hatte.

Das Weitere ist schnell ergänzt. Der Delinquent wird nach Kaiserslautern überstellt und am Folgetag ohne alle Bedingungen aus der Haft entlassen.

Bleibt noch, dessen Name nachzutragen: Friedrich Engels (1820-95), der eng mit dem revolutionären Programm von Karl Marx verbunden ist.

 

Ein Besuch bei den Freischärlern in Kirchheimbolanden

Ein anderer Revolutionär von 1848/49, Karl Schurz (1829-1906) – als Emigrant wurde er später in den USA Senator von Missouri und anschließend amerikanischer Innenminister – der 1849 die rheinhessischen Freischärler in der Pfalz besuchte, war auf dem Weg von Mainz nach Straßburg. In Kirchheimbolanden wollte er, Franz Zitz treffen.

So machte ich mich denn zu Fuß nach Kirchheimbolanden auf den Weg, mein Gepäck in einem Tornister auf den Rücken tragend. In der kleinen Stadt Kirchheimbolanden fand ich Zitz, einen hochgewachsenen stattlichen Mann, inmitten seiner, wie es schien, wohlausgerüsteten und auch einigermaßen disziplinierten Freischar. Das Lager macht keinen üblen Eindruck. […] Nur hatte die Artillerie, die aus drei oder vier kleinen Böllern bestand, wie man sie zum Knallen bei Festlichkeiten gebraucht, etwas Spielzeugartiges.

Für eine Konfrontation mit regulären Truppen waren dies denkbar schlechte Voraussetzungen.