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Trauernde Germania

Kaiserzeitliche Erinnerungskultur

Erinnerungskultur ist ein keineswegs eindeutiger Sammelbegriff für ganz unterschiedliche Zugänge zu geschichtlichen Daten und Ereignissen. Vor allem drei Aspekte sind zu bedenken: Historische Erinnerung muss Pluralität von Sichtweisen zulassen – das schließt die Gewährleistung kritischer Auseinandersetzung ein – und sollte in affektiver Hinsicht dazu anregen, „zu Opfern gewordenen Menschen ihren Subjektstatus zurückzuerobern“.

Die kaiserzeitliche Erinnerungskultur setzte dagegen andere Maßstäbe. Das Leitbild wurde bestimmt von patriotischen Helden- und Veteranenmotiven. „Mit Gott für König und Vaterland“, „Durch Blut und Eisen“ bestimmten das historisch-politische Denken.

Anschauung boten dazu vor allem drei Denkmalthemen: Kaiser Wilhelm I., Otto von Bismarck, der Krieg von 1870/71.

So bekam dann Wilhelm I. auf dem Schillerhain [Standort 15] seinen Erinnerungsort und der Deutsch- Französische Krieg auf dem „Freien Platz“ vor der Katholischen Kirche St. Peter [Standort 23]. Eine spezielle Bismarck-Ehrung überließ man dagegen dem nahen Dannenfels mit dem 1883 eingeweihten „Adlerbogen“.

Denkmäler mit einem unmittelbaren Bezug zur Revolution von 1848/49 wurden dagegen nur vereinzelt errichtet: in Kirchheimbolanden (1872), Annweiler, (1874), Mannheim (ebenfalls 1874), Flensburg (1888) oder Frankfurt a. M. (1903). Allesamt sind sie unter dem Gesichtspunkt der „Einreihung“ des revolutionären Geschehens in den Gründungsmythos von 1871 bestimmt, geben aber auch individuellen Raum zur Pluralität von Sichtweisen und Zulassung von kritischer Auseinandersetzung wie zum affektiven Opfergedanken.

Wie bestimmend dieses Opfergedenken für die Errichtung des Kirchheimbolander Freischaren-Denkmals war, belegt dessen Finanzierung. Ein „Mainzer Komitee“ organisierte Sammlungen und Spenden – bis hin zu ehemaligen Freischärlern, die in die USA emigriert waren. Ebenso trug ein „Kirchheimbolander Komitee“ dazu bei.

Denkmalthema 1848/49

Denkmäler sollen Erinnerungen stiften und tradieren. Was aber ist bezüglich der Revolution von 1848/49 erinnerungswürdig: die Reichsverfassung und anschließende „Reichsverfassungskampagne“ oder eher andere Akzentuierungen?

Das dazu in Deutschland erste Denkmal wurde 1850 im Berliner Invaliden-Park errichtet, das von einem Preußenadler bekrönte Säulenmonument des Nationalkriegerdenkmals zum Gedächtnis der in den Jahren 1848 und 1849 treu ihrer Pflicht für König und Vaterland gefallenen Brüder und Waffengenossen. Der Blick wurde damit ganz auf die militärische Niederschlagung der Revolution gelegt.

Prorevolutionäre Gedenkstätten folgten dagegen erst zeitlich versetzt im Kaiserreich, beginnend 1872 mit Kirchheimbolanden. Erst die Reichsgründung von 1871 bot also die Möglichkeit zur Errichtung von Denkmälern für – wie das Frankfurter „Einheitsdenkmal“ auf dem Paulsplatz seitlich der Paulskirche ausweist – die Vorkämpfer der deutschen Einheit.

Vom Gestaltungstyp her sind die Mannheimer und Frankfurter Gedenkstätten Obelisken, die in Kirchheimbolanden und Annweiler „Germania“-Figuren auf Quaderpostamenten.

Künstlerisch gestaltet wurde das Kirchheimbolander Denkmal von Hermann Schies (1836-99), Professor an der Wiesbadener Bau- und Kunstgewerbeschule. Er fertigte das Modell der „Germania“, das dann in der galvanoplastischen Werkstatt Kreß von Kressenstein in Frankfurt a. M. umgesetzt wurde. Der Guss erfolgte durch die Kunstgießerei A. Kastner in Berlin. Und das Postament lieferte der Kirchheimbolander Bildhauer Michael Schuler.

„Die Gartenlaube“, die führende Wochenzeitung des in der Kaiserzeit gewichtigen Genres der „illustrierten Familienblätter“, bildete die Kirchheimbolandern „Germania“ ab und stellte fest: Alle haben sich zur Ehre gearbeitet, denn das Denkmal gehört zu den schönsten in Deutschland.

Symbolfigur „Germania“

Das Kirchheimbolander Freischaren-Denkmal ist durch die Personifizierung der „Germania“ als Verkörperung kaiserzeitlichen historisch-politischen Denkens zu verstehen.

Dazu lohnt ein Blick in „Meyers Konversationslexikon“, das sich insbesonders an das liberale Bürgertum wandte. In der Ausgabe von 1895 heißt es unter dem Stichwort „Germania“: Römische Bezeichnung für Deutschland; in der Dichtkunst und den bildenden Künsten der Personifikation des Begriffs der zu einer politischen Gesamtheit vereinigten [deutschen] Länder; [im preußisch-deutschen Kaiserreich in Sieges- und Kriegsdenkmälern häufig und als] Verbindung der alten Schlachtenjungfrau [Walküre] mit der das allumfassende Vaterland versinnbildlichen deutschen Mutter zu begreifen.

„Meyers Lexikon“ steht damit ganz im Zeichen des nationalen Staatsgedankens. Doch auch schon vor der Reichsgründung von 1871 spielte die Figur der „Germania“ eine nationale symbolische Rolle, etwa in den 1850/60er Jahren bei den zahlreichen Schützen-, Sänger- und Turnerfesten. Die „Germania“ war damit zugleich die Integrationsfigur bürgerlichen Weltverständnisses in einem noch national unvollendeten Deutschland.

Sie konnte deshalb auch ohne größere Probleme für das 1872 Den Kämpfern für die Deutsche Reichsverfassung – gefallen am 14. Juni 1849 gewidmete Denkmal in Anspruch genommen werden.

Mit einer Figurenhöhe von 2,60 Metern bei einer Gesamthöhe von 5,55 Metern gibt die in Kirchheimbolanden „Trauernde Germania“ dem Freischarendenkmal sein Gepräge. Dass sie aber nicht wie beim Niederwalddenkmal als „Siegreiche Germania“ dargestellt ist, ergibt sich aus dem Geschehen von 14. Juni 1849 im Schlossgarten [Standort 48].

Die Enthüllung der „Trauernden Germania“
Die Enthüllungsfeier der Kirchheimbolander „Germania“ war 1872 ein vielbeachtetes Medienthema. Zahlreiche Zeitungen stellten das Denkmal ausführlich vor, so etwa die in Leipzig erscheinende „Gartenlaube“, oder berichteten über die Enthüllungsfeier am 16. Juni 1872. Besonders umfangreich griff dabei die „Frankfurter Zeitung“ die Feierlichkeiten auf. Sie entsandte dazu eigens einen Redakteur.

Schon seine Beschreibung des Denkmals lässt die Ambivalenz spüren, in der die „Trauernde Germania“ zu sehen ist:

Auf etwa zehn Fuß hohem Postamente steht in Bronzefarbe die ungefähr acht Fuß hohe Germania mit Unterkleid, Ringelpanzer, Schwertgürtel und über die Schulter geworfenem Mantel: an ihrer linken Seite lehnt der Schild mit dem deutschen Reichsadler, und ihre Linke ruht auf dem Schwerte. Ihre rechte Hand ist ausgestreckt und trägt einen Eichenkranz, den sie im Begriff ist, auf die darunter liegenden Gräber der Gefallenen zu legen. Ihr Gesicht zeigt den Ausdruck tiefster Trauer, und der ganzen Gestalt ist neben der ruhigen Würde der Entsagung die Haltung größten Schmerzes aufgedrückt. So ist es dem Künstler gelungen, nicht nur die damalige Zeit, sondern auch die ganze seitherige Epoche bis auf den heutigen Tag in einer einzigen Gestalt zur Darstellung zu bringen. Die Hand am Schwerte weist auf den Weg, der zur Wahrung der Freiheit damals eingeschlagen wurde, die Hand mit dem Kranze schmückt mit dem höchsten Preise die Kämpfer, die für ihr gutes Recht ihr Leben einsetzten, und Gesicht und Haltung drücken die edle und dennoch nicht verzagende Resignation aus, die gegenwärtig auf der wirklichen Mutter Germania lastet.

Zur Enthüllungsfeier hatte sich Kirchheimbolanden deshalb auch gebührend in Szene gesetzt:

Alle Häuser waren mit Blumen, Kränzen und Fahnen geschmückt, grüne Laubgewinde waren über die Straßen gezogen, und zur Seite waren frische Blumen aufgestellt, so daß man fast durch einen Wald zu wandeln meinte. In allen Gassen aber und namentlich in den öffentlichen Lokalen drängte es sich und wimmelte es von geputzten und fröhlichen Menschen. Es war freilich ein Fest der Toten, aber wenn das Gedächtnis der Toten geehrt war, durften nicht auch die Lebenden ihr Recht haben?

Den Toten galt dabei im nahen Schlossgarten eine Schwarze Fahne. Und die Lebenden? Wie alle Feste, so die „Frankfurter Zeitung“ weiter,

trug dasselbe im allgemeinen bei der großen Menge den Charakter der Unterhaltung, der Schaulust und des Genusses. Wo aber, und das geschah häufig und nachdrucksvoll genug, ein politischer Gedanke zum Durchbruch kann, so war dieser Gedanke ein freiheitlicher, ein volkstümlicher, ein demokratischer. […] Da war kein Jubel über das neue Deutsche Reich, kein Rühmen der Reichsverfassung, kein Schüren des konfessionellen Haders und der kirchlichen Streitigkeiten, kein Telegramm an den Fürsten Bismarck, kein Hoch auf den Kaiser. Was sollte auch alles das, was sollte auch an diesem Tag ein Hoch auf den Kaiser?

War es doch Kaiser Wilhelm I., der als Kronprinz am 14. Juni 1849 die preußischen Truppen als Oberbefehlshaber geführt hatte. Zwiespältiger konnte der „Festtag“ also kaum empfunden werden.

Polizeilich blieb jedoch alles „ruhig“. Die „Frankfurter Zeitung“ beschloss deshalb auch ihren Bericht aus Kirchheimbolanden in kaiserzeitlich-pathetischer Tonlage:

Die Haltung der Bevölkerung war musterhaft. Trotzdem sich vielleicht an zehntausend Festbesucher in und außerhalb der Stadt bewegten, kam keine Störung, kein Unfall, keine Ausschreitung vor. Von der Polizei sah ich nachmittags nur zwei Gendarmen, sie saßen im Biergarten und tranken gemütlich ihr Bier mit den Bürgern. Das Volk brauchte keine Überwachung, es überwachte sich selbst. Darum trug auch die Feier trotz des gesellschaftlich heiteren Tones ein selbstbewußtes, würdevolles Gepräge. Es war ein Ehrentag für die Stadt und alle ihre Gäste, und mir und vielen anderen Festbesuchern wird der Tag des 16. Juni 1872 in Kirchheimbolanden ein unvergeßlicher sein.