Politisches Bewusstsein 1848-49
Revolutionärer Stadtrat
Kaum vier Wochen nach der „Mairevolution 1849“ – der Unabhängigkeitserklärung der Pfalz von Bayern suchte die neue Provisorische Regierung der Rheinpfalz eine Absicherung auf der kommunalen Ebene und verkündete am 27. Mai 1849 eine neue „Gemeindeordnung“. Sie legte in § 1 fest: Die Gemeinden sind in der Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten und ihres Vermögens sowie in der Handhabung ihrer Ortspolizei selbstständig.
Der daraufhin in Kirchheimbolanden am 9. Juni 1849 neu gewählte Stadtrat kam bereits vier Tage später zu seiner ersten Sitzung zusammen. Die preußischen Truppen waren zu diesem Zeitpunkt gerade in die Pfalz eingerückt. Deshalb beschloss man, Es soll nach der Aufforderung der provisorischen Regierung sich jeder bemittelte Bürger auf seine Kosten mit einer Waffe versehen. Diejenigen jedoch, welche nicht aus eigenen Mitteln sich solche anschaffen können, werden aufgefordert, […] auf dem Stadthause ihre Erklärung abzugeben, damit man weiß, wie groß die Zahl der fehlenden Waffen sei, die dann angefertigt und an die Betreffenden abgegeben werden soll.
Denn die bange Frage war: Würden die preußischen Truppen die Stadt angreifen? Noch waren ja mehrere Hundert Freischärler hier und Kirchheimbolanden deshalb ein möglicher militärischer Gefechtsort. Was also war zu tun?
Friedrich Bamberger berichtet darüber in seinen „Erlebnissen aus der pfälzischen Erhebung im Mai und Juni 1849“: Bürgermeister, Stadträte und Offiziere der Bürgerwehr, Reaktionäre und Liberale, brüderlich vereinigt, [kamen zu Zitz und mir], um uns die dringendsten Vorstellungen gegen eine Verteidigung [Kirchheimbolandens] zu machen, infolgedessen die Stadt leiden könnte. Ja, man setzte sogar noch hinzu: falls wir dennoch den Kampf annehmen oder es etwa mit Barrikaden versuchen sollten, so würden wir die Bürger selbst im Rücken zu Feinden haben.
Das war deutlich.
Kurze Zeit später kam es zum Schlossgartengefecht [Standort 48]. Die Revolution in Kirchheimbolanden hatte damit ihr Ende gefunden.

“Befreiung von einem anarchische Joche“
Am 25. Juni 1849 – elf Tage nach dem Schlossgartengefecht von Kirchheimbolanden [Standort 48] – informierte die nunmehr wieder im Amt befindliche pfalzbayerische Regierung: Die sogenannte provisorische Regierung, welche sich hochverrätherisch der öffentlichen Gewalt bemächtigt hat, sowie die von derselben für die Landcommissariats=Bezirke, Kantone und Gemeinden der Pfalz eingesetzten Behörden sind hiermit aufgehoben und alle Handlungen und Beschlüsse derselben nichtig und wirkungslos. Die gesetzlichen Obrigkeiten, Behörden und Beamten treten sofort wieder in ihre Gewalt und Funktionen ein.
Die „Bekanntmachung“ schloss mit dem eindringlichen Appell, die eingerückten Truppen als ihre Befreier von einem anarchischen Joche zu empfangen und den bisherigen gesetzlosen Zustand zu beseitigen und die Herrschaft des Gesetztes wiederherzustellen.
Wie nachhaltig man dem in Kirchheimbolanden nachkam, geht aus einer Notiz im „Wochenblatt“ unter dem Datum vom 27. September 1849 hervor.
Der Fürst von Thurn und Taxis, das war der Oberkommandierende der bayerischen Truppen in der Pfalz.
Zur Sicherstellung der Pacifizierung wurde zudem für ein Jahr eine Kompanie des bayerischen 1. Jägerbataillons in Kirchheimbolanden stationiert, untergebracht unter anderem in der Schule in der Amtsstraße [Standort 27].

Kontinuitäten und Zäsuren in öffentlichen Ämtern
Indem in politischen Revolutionen neue Ideen gewaltsam und gegen die bestehende Ordnung an die Stelle von bisher dominierenden zu setzen versucht werden, stellt sich die Frage: Wie sollen die jeweiligen Administrationen reagieren? Soll man das Neue aktiv mittragen, strikt ablehnen und unterlaufen, oder abwarten und sich passiv verhalten? Eine Unterstützung kann jedoch im Fall des Scheiterns der Revolution einen Amtsverlust nach sich ziehen.
Es war also 1848/49 vor allem für die Bürgermeister sowie die Richter und Notare keine einfache Entscheidungssituation.
Die Bilanz wurde dann nach der Revolution gezogen. Im Fall von Kirchheimbolanden blieb Bürgermeister Reinhard Becker im Amt, ebenso Friedensrichter Daniel Metzner.
Ganz ohne „Makel“ waren jedoch beide nicht: Bürgermeister Becker findet sich sogar im Verzeichnis derjenigen Individuen, gegen welche bereits eingeleitete Untersuchungen in Folge des Amnestiegesetzes vom 22. Dezember 1849 […] die Einstellung des Verfahrens angeordnet wurde und auch Friedensrichter Metzner wurde als „1849er Sympathisant“ eingestuft.
Weit folgenreicher war das revolutionäre Engagement dagegen für Notar Karl Wilhelm Schmidt. Er wurde mit Wirkung vom 9. Juni 1849 – also fünf Tage vor dem Schlossgartengefecht [Standort 48] – von der bayerischen Regierung in den Ruhestand versetzt. Seine Stelle übernahm bis zur Wiederbesetzung der zweite Kirchheimbolander Notar Carl August Duderstadt.
Insgesamt dominierten also die administrativen Kontinuitäten. Zu stark durften Regierung und Justiz jedoch auch gar nicht eingreifen, nicht nur, um neue Unruhe auszulösen.
Die Urheber und Theilnehmer der hochverrätherischen Bewegung sollten jedoch demonstrativ bestraft werden. Carl Wilhelm Schmidt gehörte als Mitglied des Landesverteidigungsausschusses ebenso dazu wie sein Notariatssschreiber Jakob Müller als von der pfälzischen Revolutionsregierung im Landkommissariat Kirchheimbolanden eingesetzter „Zivilkommissar“. Indem sich aber beide ihrem Prozess und Todesurteil durch Flucht und Emigration in die USA entzogen, bedurfte es von Seiten des bayerischen Staates keiner weiteren Maßnahmen.
“Verdiente Männer“
Es war eine nicht einfache Aufgabe, die im Februar 1849 in den zwölf pfälzischen Landkommissariaten (Landkreisen) geleistet werden sollte: Die bayerische Regierung hatte von den Landkommissaren ein Verzeichnis verdienter Männer angefordert, welche in den Tagen des Aufruhrs […] als treue Anhänger Seiner Majestät des Königs […] durch ihr Wirken […] sich so hervorgetan haben, daß sie Anerkennung der Staatsregierung verdienen.
Der Kirchheimbolander Landkommissar meldete daraufhin aus seinem Administrationsbereich insgesamt 22 Namen.
Für Kirchheimbolanden benannte das Landkommissariat sieben verdiente Männer, die während des Umsturzes in patriotischer Gesinnung und mutiger Haltung treu zu Krone und Altar gestanden hatten: Jakob Lutzenberger (Landkommissariatsgehilfe), Daniel Metzner (Friedensrichter), Hermann Dercum (Ergänzungsrichter), Carl Anton Duderstadt (Notar), Kaspar Heim (Steuerkontrolleur) Jakob von Traitteur (Forstmeister) und Konrad Völker (katholischer Geistlicher).
Die Revolution 1848/49 hatte also nur teilweise in den öffentlichen Institutionen Fuß fassen können. Das begrenzte die Wirkung des „Aufstandes“ ganz entscheidend.
„Ähnlich lückenhaft war der Rückhalt der Revolution in der Bevölkerung. Nur ein Viertel, so das Landkommissariat, hätte sie unterstützt. In Kirchheimbolanden war die Sympathie allerdings stärker als in den Dörfern der Umgebung. Die meisten lieben die Ruhe. Gleichzeitig, so das Landkommissariat weiter, könne man aber keineswegs sagen, dass sie eine Vorliebe für den bayerischen Staat“ hätten.
Das war nach 1848/49 nicht anders als vorher.
