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Obrist Seyler

Kirchheimbolander Bürgergarde

Wie sehr der Demokratiegedanke 1848 auch die Bürgergarde prägte, zeigt sich nicht allein in der Wahl der Offiziere, des „Obristen“ als Kommandeur und der die drei Kompanien führenden Hauptleute. Er drückte sich ebenso im bürgerschaftlichen „Ausschuß“ der Garde aus. Ihm gehörten neben Georg Kaspar Seyler, dem „Obristen“, Dr. Friedrich Glaser [Standort 53] und Dr. Ludwig Hitzfeld [Standort 59] an. Die Bürgergarde (Bürgerwehr) war damit ein Organ des freiheitskonzeptionellen Aufbruchs im Frühjahr und Sommer 1848.

In enger Verbindung dazu wurde auch der deutsche Nationalgedanke zum Ausdruck gebracht. § 12 der „Statuten der Bürgergarde bestimmte: Die Kopfbedeckung, welche im Dienst getragen werden muß, besteht aus einer schwarzen ledernen oder

schwarzen etwas hohen Mütze, an deren Boden vorn die deutsche Kokarde angebracht ist. Welch bedeutsame öffentliche Identifikationsrolle die Bürgergarde 1848 spielte, belegt auch eine „Aufforderung“ im „Wochenblatt“.

Einladung

Wie sehr die Festlichkeit dann in gemeinschaftlicher Freude ablief, dokumentiert der Bericht über Die Fahnenweihe der Kirchheimbolander Bürgerwehr:

Um die fünfte Morgenstunde des 6. August [1848] kündeten Trommelwirbel und umziehende Musik den Anbruch des festlichen, zur Fahnenweihe auserkorenen Tage. […]

Mit klingendem Spiel, die deutschen Farben voran, kamen dann um 2 Uhr Nachmittags von Nord und Süd und Ost und West die Wehrmannschaften im Kriegesschmuck, ein längliches, innen freies freies Viereck bildend. […] Die eine Seite des Vierecks lehnte an die Fronte der Paulskirche, vor deren Portal […] sich eine Tribüne erhob. […] In der Mitte des Vierecks aber befanden sich der Landkommissär [heute Landrat], der Stadtrath, die Geistlichen und in buntem Kleiderschmuck die Damenwelt von Nah und Fern. […]

Verehrter Herr Obrist“, sprach die vordere der Frauen den Kommandanten der Bürgergarde an, „ein hehrer feierlicher Augenblick hat uns Frauen, des öffentlichen Auftretens ungewohnt, aus der Verborgenheit unserer häuslichen Kreise an diese feierliche Stätte geführt. […] Uns Frauen ist es zwar nicht beschieden, in Thaten und Waffen Ehre uns dem Vaterlande zu weihn. Aber nicht minder von Begeisterung durchglüht für des theuern Vaterlandes Heil, überreichen wir, deutsche Frauen, deutschen Männern dieses deutsche Banner, wie einst, in vielbesungener Vorzeit, unseres Vaterlandes Töchter seinen Heldensöhnen, auf daß es ein Sinnbild deutscher Ehre und Freiheit ihnen voranleuchte in Kampf und Gefahr.

Dabei überreichte sie dem Obristen die jetzt entfaltete, auf der einen Seite den deutschen Aar [Adler], auf der anderen die Inschrift „Kirchheimbolandern Bürgerwehr 1848“ zeigende schwarz-rot-goldene Fahne. […]

Der Obrist wandte sich darauf u der Mannschaft mit den Worten: „Ich glaube, aller Wunsch zu entsprechen, wenn ich Euch einlade, mit mir einzustimmen in den Ruf: „Kirchheims edle Frauen leben hoch!“ Ein dreimaliges tausendstimmiges Lebe hochertönte, begleitet von dem kräftigen Tusch der Musik und dem lauten Donner der Böller. […]

[Nach dem Ende der Feier] gings dann unter klingendem Spiele in schönem, nicht enden wollendem Zuge, an welchem auch die Frauen, der Landkommissär und der Stadtrath sich beteiligten, voran die Kirchheimer Bürgerwehr mit der neuen, stolz erglänzenden Fahne, durch die Hauptstraßen der Stadt nach der Kastanienallee [heute: Dr. Edeltraud- Sießl-Allee].

[Hier begann] jetzt ein fröhliches Treiben. […] Jeder Standesunterschied schwand, der vollkommene Gleichheit machte sich breit. […]

Das schöne Fest wird allen unvergeßlich bleiben.

So sollte deshalb auch unseres Stadt-Tour unbedingt ins Museum im Stadtpalais (Standort 58) führen. Denn in der Abteilung „Revolution 1848/49“ ist u. a. die Fahne der „Kirchheimbolander Bürgerwehr 1848“ ausgestellt und macht so bewusst, dass man auch schon im August 1848 an den „Ernstfall“ dachte.

Donnersberger Freischar

Zwei Monate vor der Fahnenweihe der Kirchheimbolander Bürgerwehr hatte die Stadt schon eine ganz ähnliche Veranstaltung erlebt. Die Einladung dazu findet sich im „Wochenblatt“ vom 9. Juni 1848.

Neben der Bürgerwehr bestand in Kirchheimbolanden damit eine zweite bewaffnete Gruppierung. Deren Bestimmung wurde bei der Fahnenweihe sehr deutlich angesprochen.

Als damals Zwölfjähriger hat Friedrich Barbier I. (1836-1930) die Übergabe der von den verehrlichen Jungfrauen hiesiger Stadt geschaffene Fahne miterlebt:

Kopf an Kopf stand die Menge. […] Das hohe Interesse der Bevölkerung galt nicht nur der Sache selbst, sondern ganz besonders der Person des Festredners, denn diesmal war es eine Dame und zwar Frl. Mathilde Hitzfeld, die Tochter des Bezirksarztes Dr. Hitzfeld, der Hauptmann bei der Bürgerwehr war und ganz besonders hervorragend an der großartigen Bewegung sich beteiligt hatte. Fr. Hitzfeld sollte im Namen der Kirchheimbolander Jungfrauen die von ihnen gestiftete Fahne überreichen. Festredner hatte man schon oft gehört, aber eine Rednerin, das war etwas Neues und auch in der Folgezeit sind nur wenige Kirchheimbolanderinnen den Spuren Mathilde Hitzfelds in diesem Punkte gefolgt. Jetzt rückte die Bürgerwehr mit türkischer Musik, die Festdamen, die Freischaren, die Alzeyer Turner in großer Zahl und vieles Volk auf den Marktplatz ein. Die Festdamen in weißen Kleidern mit schwarz-rot-goldenen Schärpen um die Schultern. [… Dann] betrat die jugendliche Rednerin die Tribüne, atemlose Stille trat ein. Aller Augen richteten sich auf die hohe schlanke Mädchengestalt im weißen Kleide, geschmückt mit schwarz-rot-goldener Schärpe und Kokarde, auf das schöne, kühn geschnittene Gesicht, in dem zwei feurigen Augen glänzten, und dann begann sie ohne eine Spur von Aufregung. […] Sie sprach mit solchem Feuer, daß die Leute wie gebannt an ihrem Munde hingen. Von Minute zu Minute steigerte sich die Kraft, Kühnheit und leidenschaftliche Eindringlichkeit ihrer Rede und als sie mit einem Hoch auf das große, freie und einige deutsche Vaterland schloß, da wollten die brausenden Rufe der großen Versammlung kein Ende nehmen. Dann nahm sie die Fahne, überreichte sie in einer flammenden Ansprache dem Fahnenträger der hiesigen Freischaren Philipp Berch, einem hochgewachsenen schlanken jungen Manne und sagte zum Schlusse: „Kehrst Du mit dieser Fahne und mit einem einigen und freien Vaterland zurück, so reiche ich Dir diese Hand!“ Wie eine Fürstin stand sie da, die Versammlung jubelte ihr zu. Der Hauptmann Heinrich Rochotte übernahm die Fahne im Namen der Freischaren, gelobte, sie stets in Ehren zu halten, für sie zu kämpfen und zu sterben und schloß mit einem Hoch auf Fr. Hitzfeld und die Festdamen, in das die große Versammlung donnernd einstimmte.

Mathilde Hitzfeld (1826-1905) wurde eine Ikone des Pfälzischen Aufstandes [Standort 59], den die Freischaren wesentlich mitprägten, weniger allerdings die „Donnersberger“ Gruppe, denn sie war am 14. Juni 1849 während des Gefechtes im Schlossgarten [Standort 48] im Zellertal und im Kanton Göllheim stationiert.

Ihr Kommandeur Hauptmann Friedrich Heinrich Rochotte, Redakteur in der Thiemeschen Druckerei, führte die Fahne auf seiner Flucht in die USA mit. Ein Neffe sandte sie dann 1906, vier Jahre nach Rochottes Tod, an die Stadt Kirchheimbolanden zurück, so dass sie heute neben der Bürgerwehrfahne im Museum Stadtpalais [Standort 58] zu sehen ist.

Gemäßigte revolutionäre Nachbarschaft

Obrist Georg Kaspar Seyler war nicht der einzige in der Kirchheimbolander Amtsstraße ansässige Sympathisant und Akteur einer gemäßigten Revolution. So wird im „Wochenblatt“ in Bezug auf die Bürgerversammlung [Standort 56] und den Bürgerverein [Standort 60] vielfach auch der Name Pilgeram genannt.

Franz Pilgeram (1802-62), Gutsbesitzer und Weinhändler, wohnte 1837-56 mit seiner ebenfalls aus der im Handelswesen tätigen Kirchheimbolander Familie Brogino stammenden Frau Anna Maria (1810-84) in der Amtsstraße 27. Beider Sohn Franz Joseph (1836-94) wurde dann der erste Kirchheimbolander Ehrenbürger.

Wie u.a. auch Bäckermeister und Obrist Seyler oder Dr. Friedrich Glaser [Standort 53] – ebenfalls Angehörige bürgerlichen „Mittelstandes“ – gehörten die Pilgerams zu den Verfechtern des gemäßigt revolutionären politischen Gedankens der Grundrechte, Volkssouveränität und Gewaltenteilung.