Ludwig und Mathilde Hitzfeld
“Im Vertrauen auf ihr gutes Recht“
In der Schlussphase der Revolution im Frühjahr 1849, die zahlreiche deutschen Regionen erfasste, stand die Durchsetzung der Reichsverfassung im Mittelpunkt. Die Frage war, ob die in der Frankfurter Nationalversammlung beschlossene Konstitution mit ihren Prinzipien der Volkssouveränität, Grundrechte und Gewaltenteilung gegebenenfalls mit militärischen Mitteln gegen ablehnende Einzelstaaten verteidigt werden sollte. Zustimmung für ein solches Vorgehen gab es besonders in Sachsen, in der Pfalz, in Rheinhessen und in Baden.
Der pfälzische Beitrag zu einer solchen „Reichsverfassungskampagne“ hatte am 1. Mai 1849 in Kaiserslautern seinen Ausgangspunkt. Vorausgegangen war dem am 28. März die Nichtanerkennung der Reichsverfassung durch den bayerischen König Maximilian II., der der Konstitution vor allem aus zwei Gründen nicht zustimmte: der beabsichtigten einheitsstaatlichen Ordnung wie dem Ausschluss Österreichs.
Die pfälzische Reaktion darauf erfolgte fünf Wochen später in Kaiserslautern. Hier wurden in einer Volksversammlung drei Anträge diskutiert: 1. Eine großartige Adresse an den König mit dem Ziel der Rücknahme seiner Ablehnungsentscheidung, 2. Die sofortige Einsetzung einer provisorischen Regierung für die Pfalz und damit die Abspaltung von Bayern, 3. Die Berufung einer Landesverteidigungsausschusses zur Durchführung der Reichsverfassung und der Organisation der Volksverteidigung, um so für den Fall eines eventuellen militärischen Vorgehens gegen die Pfalz von außen vorbereitet zu sein.
Den ersten Antrag trug der Kirchheimbolander Kantonsarzt Dr. Ludwig Hitzfeld (1794-1869) (Obrist Seyler, Kirchheimbolander Bürgerverein. Er kam damit aber erst gar nicht in die weitere Abstimmung. Die fiel zwischen den beiden anderen Anträgen schließlich mit knapper Mehrzeit für den Landesverteidigungsausschuss.
Die Maßnahmen, die der Ausschuss dann in den zweieinhalb folgenden Wochen beschloss, führten direkt in die offene Konfrontation mit der bayerischen Staatsmacht. Das betraf zum Beispiel die Aufstellung einer pfälzischen Volkswehr durch die Zusammenfassung der örtlichen Bürgerwehren. Dies sollte unter der Mitarbeit eines dreiköpfigen Beratungsteams geschehen, dem Hitzfeld angehörte. Weitere Maßnahmen des Landesverteidigungsausschusses, darunter der Kirchheimbolander Notar Karl Wilhelm Schmidt, wurden deswegen auch später rechtlich belangt.
Schon am 17. Mai verlor Schmidt aber bereits wieder sein Amt, denn nun trat an die Stelle des Landesausschusses eine Provisorische Regierung. Diese wurde von Vertreten der pfälzischen Kantone gewählt, darunter Hitzfeld für den Kanton Kirchheimbolanden. Damit erklärte die Pfalz zugleich ihre Unabhängigkeit von Bayern. Die betreffende Proklamation gab das „Kirchheimbolander Wochenblatt“ in seiner Ausgabe vom 22. Mai bekannt.
Damit waren zugleich die Fronten abgesteckt und die nun zu erwartenden militärischen Gegenreaktionen von vornherein ins Unrecht gesetzt.
Sie erfolgen vier Wochen später, beginnend mit dem Schlossgartengefecht in Kirchheimbolanden [Standort 48].


Die „wohlbekannte Freischärlerin Demoiselle Hitzfeld“
Die Szene ist heroisch. Eine schwarz-rot-goldene Fahne in die Höhe richtend, steht einer junge Frau walkürengleich auf einer Barrikade. Ob es tatsächlich jene 1826 geborene Kirchheimbolanderin ist, die 1853 in der „Pfälzer Zeitung“ als wohlbekannte Freischärlerin Demoiselle Hitzfeld bezeichnet wird?
Die örtliche Überlieferung pflegt dieses Bild bis heute: in bildlichen Darstellungen auf dem Platz am Grauen Turm [Standort 54] und im Sitzungssaal der Kreisverwaltung, mit der Benennung einer Kirchheimbolander Schule, sowie einer Straße.
War Mathilde Hitzfeld (1826-1905), die Tochter des Kirchheimbolander Kantonsarztes und 1848/49 politisch vielfältig engagierten Dr. Ludwig Hitzfeld, doch in der nachrevolutionären Prozesswelle der Aufforderung zum Kampf gegen die preußischen Truppen angeklagt. Ebenso soll sie auch die Kellertür des Weinhändlers Levi dahier aufgebrochen oder wenigstens dabei mitgewirkt haben.
Ganz ähnlich hebt dann auch 1905 im Kirchheimbolander „Lokalanzeiger“ der Nachruf auf die in den USA verstorbene Mathilde Hitzfeld hervor: Sie nahm an dem Barrikaden Kampfe in Kirchheimbolanden [teil] und versuchte mit einer kleinen Schar verwegener Freiheitshelden vergeblich dem Vordringen der Preußen Einhalt zu gebieten.

Mathilde Hitzfeld also eine Ikone der Revolution?
Allerdings: Obschon wegen Teilnahme an der im Mai und Juni d. J. [des Jahres 1849] im Kreise Pfalz stattgehabten hochverräterischen Unternehmungen angeklagt, wurde sie schon zum Jahresende auf Grund des Amnestiegesetzes König Maximilians II. freigesprochen.
Doch: Der Mythos lebt(e). Vor allem das Bild, das sie, die Fahne haltend, darstellt, beflügelt ihn.
Man denkt an Eugène Delacroixs berühmtes Gemälde „Die Freiheit führt das Volk an“.
Ganz in dieser Linie steht dann auch das Bild der Kirchheimbolander Barrikade, ebenso ganz ähnlich die Darstellung von Lisette Hatzfeld auf der Mannheimer Straßensperre. Beide Abbildungen wurden Ende des 19. Jahrhunderts publiziert.
Bei Mathilde Hitzfeld geht der Bezug zur schwarz-rot-goldenen Fahne zudem auf eine ganz konkrete Wurzel zurück: die Fahnenweihe der „Donnersberger Freischaren 1848“. Der Bericht darüber im „Kirchheimbolander Wochenblatt“ ist voller Pathos: Sie nahm die Fahne, überreichte sie in einer flammenden Rede dem Fahnenträger der Freischar […] und sagte zum Schlusse: „Kehrst Du mit dieser Fahne und mit einem einigen und freien Vaterland zurück, so reiche ich Dir diese Hand.“

Erinnerungsstiftung
Mathilde Hitzfeld gilt in Bezug auf 1848/49 in ganz besonderer Weise die Erinnerungsstiftung. Nicht nur, dass in Kirchheimbolander eine Straße und eine Schule nach ihr benannt sind, ebenso ist sie mit dem Wandgemälde auf dem Parkplatz am Grauen Turm [Standort 54] und im Museum im Stadtpalais präsent.
Dazu hat nicht zuletzt ihre lebenslängliche Verbindung mit Kirchheimbolanden beigetragen. 1899 wurde sie deshalb auch zur 50jahrfreier des Schlossgartengefechtes eingeladen. Inzwischen 73jährig konnte sie jedoch aus den USA nicht anreisen. In einem langen Brief hat sie sich deshalb entschuldigt: Glauben Sie mir, ich habe jene Zeit nicht vergessen, ich habe mich und meine Ansichten nicht geändert. Dieselbe Begeisterung für Recht und Freiheit glüht heute grade noch so lebendig in mir wie vor 50 Jahren.
Ganz in diesem Sinn verstand sich auch ihr Ehemann Theodor Kaufmann. In Dresden hatten sich in den Tagen des Maiaufstandes 1849 seine Wege mit Richard Wagner und Gottfried Semper gekreuzt. Wagner kannte er vom Dresdner Volksverein her, Semper von der „Barrikade Nr. 13“ im Maiaufstand. Die Barrikade, so einer der Aufständischen in einem späteren polizeilichen Protokoll, hatte verschiedene Kommandanten. Zuerst commandirte dieselbe Prof. Semper […], sodann ein gewisser Kaufmann. Am 24. Juni wurde Kaufmann deshalb zur polizeilichen Fahnung ausgeschrieben, der er sich allerdings durch Flucht in die Schweiz und Emigration in die USA entzog.
Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass er tatsächlich der Künstler des Entwurfs zu einem Holzschnitt ist, der 1850 in einem Düsseldorfer Verlag erschien, der im gleichen Jahr einen Kaufmann`schen Kupferstich- Zyklus zur „Gottesidee“ publizierte.
Unter dem Titel Begnadet zu Pulver und Blei 1849 bildet der Holzschnitt das Sterben eines hingerichteten Freischärlers ab, während die Truppen der Staatsgewalt ihren Marsch fortsetzen.



Denn der Holzschnitt ist in einem Kontext gestellt: Trost für 1849er, so der Titel der vierblättrigen Serie mit Socrates, Jesus und Huß [Jan Hus] als Glied jener Kette der Blutzeugen der Entwicklung des Menschengeschlechtes.
Damit hat die Erinnerungsstiftung ihren Topos.
Wenn das Bild deshalb tatsächlich einen Kaufmann`schen Entwurf umgesetzt hat, so illustriert es ein politisches Denken ganz im Sinne von Mathilde Hitzfeld.
Wie also sind Mathilde Hitzfeld und 1848/49 heute darstellbar? Das Wandbild auf dem Parkplatz am Grauen Turm regt diese Frage ebenso an wie ihre Personifizierung im Museum im Stadtpalais.
Dort im Museum wird auch an den 1961 „gestifteten“ Spielmannszug des Turnvereins Kirchheimbolanden und die ihn begleitende Trachtengruppe erinnert – beide im Freischarenuniformen und mit dabei auch Mathilde Hitzfeld.
Allerdings ist diese Historisierung nur noch museal, da sie so nicht mehr besteht.
Das belegt jedoch zugleich den Wandel, dem die Sicht auf 1848/49 unterliegt. Aber das verdeutlicht zugleich ein Grundmerkmal des historischen Gedächtnisses ganz allgemein: Es unterliegt dem Zeitgeist. Und der ist bekanntlich fluide.
“Ist die Freiheit nicht für alle da?“
Die Zeitzeugin, die in Friedrich Albrechts Karchers 1851 in Kaiserslautern erschienener „Novelle aus dem Jahr 1849“ unter dem Buchtitel „Die Freischärlerin“ im Mittelpunkt steht, ist fiktiv, setzt aber das Revolutionsgeschehen in der Pfalz überaus trefflich in Szene. So fragt die Protagonistin etwa: Kämpft denn der Mann nur allein für sich? Ist die Freiheit nicht für alle da? Haben wir Frauen nicht auch ein Herz, welches für das Vaterland schlägt? Elende Bande der Konvenienz, die uns Frauen fesselt!
So oder ähnlich könnte das auch Mathilde Hitzfeld formuliert haben. Frauen wie sie oder Flora, die „Freischärlerin“ im Karchers „Novelle“, waren allerdings die Ausnahme – auch in Kirchheimbolanden. Doch die beiden Hitzfelds, Mathilde und ihre Mutter Anna Maria, Regine Glaser und Therese Giessen, sie und weitere setzten sich ebenfalls für die revolutionäre Sache der Männer ein – zu vörderst jedoch mit dem Sticken und Schneidern der Bürgerwehr- und Freischarenfahnen.
Denn „eine gleichberechtigte Teilnahme der Frauen an der Politik wurde 1848/49 nicht nur von den meisten Männern abgelehnt, sondern ebenso vom größten Teil der Frauen gar nicht angestrebt.“ Und dennoch: Frauen fertigten nicht nur Fahnen, sie traten nicht nur bei Fahnenweihen auch öffentlich in Erscheinung, lasen Zeitung und diskutierten.
Das führte dann zwangsläufig zur Frage: „Ist die Freiheit nicht für alle da?“
“Gute Freunde“
Die liberale Bürgerwelt der 1830/40er Jahre in Kirchheimbolanden war nicht nur durch das ihr gemeinsame politische-soziale Denken miteinander verbunden, sondern auch vielfach auch familiär vernetzt. Die Familien Glaser auch Giessen oder Pilgeram und Brogino, sind keine Einzelfälle.
Gleiches zeigen auch die im Kirchenbuch der Protestantischen Gemeinde vermerkten Einträge in Bezug auf die Familie Hitzfeld. So werden anlässlich der Hochzeit Ludwigs Anna Maria Hitzfeld im Jahr 1821 als Zeugen „Jakob Anton Brogino, Handelsmann und Guter Freund“ sowie der Gerichtsbote Andreas Joseph Ropiquet, ebenfalls „guter Freund“, vermerkt. Beide Trauzeugen sind auch in einer vom Kirchheimbolander Friedensrichter 1832 zusammengestellten Liste der „Gesellschaft von Partheymännern [genannt], welche [lieberale] politische Gesinnungen und Grundsätze hegen“.
Ebenso aufschlussreich ist die Zeugenreihe anlässlich der Taufe Mathilde Hitzfelds (1826). Sie nennt einen weiteren „liberalen Partheymann“ von 1832 „Friedrich Lenning, Handelsmann“ sowie Schwager von Jakob Anton Brogino. Und zur Taufe von Mathildes Schwester Magdalena Ina (1724) wird „Jakob Knöbel, Schullehrer“ aufgeführt, Vater des 1832 als „Hochverräter“ und der „Verunglimpfung der höchsten Staatsbehörden“ angeklagten Friedrich Wilhelm Knöbel.
Solcherart Vernetzungen bestimmten in den 1830/40 Jahren nicht allein in der pfalz-bayerischen Landstadt Kirchheimbolanden die liberale Bürgerwelt.