Kirchheimbolander Bürgerverein
Revolutionsort politische Vereine und Versammlungen
Die politische Aktivierung, die die Revolution von 1848/49 auslöste, schlug sich zunächst in Bürgerversammlungen [Standort 56] nieder. Schon wenige Wochen später erfolgte dann die Gründung eines gemäßigt-revolutionären „Bürgervereins“. Erste Ansätze wurden bereits am 31. März 1848 unternommen. Eine feste Struktur erhielt der Verein aber erst im Juli/August.
Von nun an nennt das „Kirchheimbolander „Wochenblatt“ in den Nachrichten des Vereins immer wieder den Arzt Dr. Friedrich Glaser [Standort 53] sowie die Namen H. Bechtelsheimer, R. Becker, L Levi jr., W. Ritterspach, G. Rupprecht, G. Seyler und J. L. N. Stöckel.



Oktober und November 1848
Im Oktober und November 1848 wurde daraufhin im „Kirchheimbolander Wochenblatt“ in zum Teil wöchentlicher Folge zu Versammlungen eingeladen, für den 26. Oktober zum Beispiel Zum Wesen der Demokratie.
Im Dezember erfolgte dann eine für das Weitere grundlegende Richtungsentscheidung. Denn mit dem „Märzverein“ war inzwischen auch in Kirchheimbolanden ein Mitbewerber als lokaler Zweig des am 21. November von Abgeordneten der linken Fraktionen in der Deutschen Nationalversammlung gegründete „Zentralmärzvereins“ aktiv geworden.
Dass dadurch nun eine neue Dynamik des politischen Vereinswesens ausgelöst wurde, hatte einen doppelten Grund: die Rückbesinnung auf den Beginn des revolutionären Geschehens vom März 1848 mit den damaligen „Märzforderungen“ (Volkssouveränität, parlamentarische Regierungsform, demokratisches Wahlrecht, Grundrechte) und die direkte Anbindung des „Märzvereins“ an Teile des Paulskirchenparlamentes, was einen
ständigen Informationsfluss über die Arbeit an dem Verfassungsprojekt versprach. Dazu kam in Kirchheimbolanden eine zusätzliche Attraktivität, denn es waren stadtbekannte Namen, die den „Märzverein“ repräsentierten, darunter der Notar Karl Wilhelm Schmidt, der Notariatsschreiber Jakob Müller oder der Kantonsarzt Dr. Ludwig Hitzfeld.
Parallel zeichnete sich im Kirchheimbolander „Bürgerverein“ eine Zäsur weitere ab: Dr. Friedrich Glaser erkrankte ernsthaft, lud jedoch noch für den 21. Dezember zusammen mit den übrigen Mitgliedern des Vereinsausschusses zu einer „außerordentlichen Versammlung“ ein.
Der neue Verein firmierte jetzt als „März- und Volksverein“. Von dessen fünf Vorstandsmitgliedern kamen drei aus der „Märzvereins“-Wurzel (Schmidt, Hitzfeld und Müller) und zwei aus dem alten „Bürgerverein“ (Bechtelsheimer und Rupprecht).
Der „März- und Volksverein“ hatte jedoch in seiner Tätigkeit von Anfang an durch die allgemeinpolitische Entwicklung in Deutschland keine größere Perspektive. Denn die Gegenrevolution begann sich abzuzeichnen, insbesonders in Preußen, wo der König schon am 9. November 1848 die Preußische Nationalversammlung aufgelöst und damit die Arbeit an einer preußischen „Landesverfassung“ beendet hatte.
Für die Umsetzung der von der Deutschen Nationalversammlung in Frankfurt am 21. Dezember 1848 verkündeten Grundrechte und der am 27. März 1849 verabschiedeten Reichsverfassung blieben die Realisierungschance deshalb nur höchst gering – auch mit militärischen Mitteln durch Freischaren.

Revolutionsort Parlament
Eine Verfassung für Deutschland, für das ganze Reich zu schaffen – mit diesem Auftrag hatte die Deutsche Nationalversammlung am 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche mit ihrer Arbeit begonnen.
Die Pfalz entsandte dazu zehn Abgeordnete. Den Wahlbezirk Kirchheimbolanden (Kantone Kirchheimbolanden, Göllheim, Rockenhausen und Winnweiler vertrat der in Gaugrehweiler geborene und in Speyer tätige Notar Joseph Martin Reichard (1803-72).
Er gehörte der Nationalversammlung bis zum 30.Mai 1849 an und innerhalb ihrer politischen Gruppierung der Fraktion „Donnersberg“, benannt nach dem Frankfurter Gasthof, in der sich die „Demokraten“ trafen. Deren Zielsetzung war eine Verfassung auf der Grundlage einer allgemeinen, gleichen und direkten Wahl.
Das schließliche Ergebnis mit seinem Männerwahlrecht befriedigte Reichard deshalb keineswegs. Es passte jedoch zur „Radikalität“ der Fraktion „Donnersberg“, dass er sich für eine gewaltsame Durchsetzung der Verfassung nach ihrer Ablehnung durch Preußen und Bayern einsetzte.
Reichard wurde deshalb auch einer der Hauptexponenten des Pfälzischen Aufstandes, trat in den Landesverteidigungsausschuss ein und ebenso in die anschließende Provisorische Regierung der Pfalz. Beide Male hatte er zwar formal den Vorsitz, „ohne jedoch die beherrschende Führungsrolle in der Revolutionsregierung zu übernehmen.“
Für die bayerische Staatsregierung und Justiz war er aber einer der Hauptverantwortlichen. Er floh deshalb in die Schweiz und dann weiter in die USA. Das über ihn verhängte Todesurteil konnte somit nicht vollstreckt werden.
Einen ähnlichen biographischen Bruch brachte die Revolution für Reichards Nachfolger in der Nationalversammlung Adolf Ernst Theodor Berkmann (1802-78), Pfarrer in Einselthum. Er trat am 1. Juni 1849 seinen Abgeordnetenmandat an. Die Nationalversammlung war zu diesem Zeitpunkt aber bereits in Auflösung. Um sich zudem einen Zugriff preußischer Truppen zu entziehen, verlegte der noch verbliebene Rest dem Plenums (Rumpfparlament) den Sitz nach Stuttgart, wo schließlich am 18. Juni 1849 württembergisches Militär die Weiterarbeit der nur noch wenigen Abgeordneten gewaltsam unterband.
Berkmanns Abgeordnetentätigkeit endete also schon nach kaum mehr als zwei Wochen. Es folgte eine einjährige Untersuchungshaft. War er doch bereits 1832 wegen des Besuchs des Hambacher Festes angeklagt gewesen. Als Berkmann dann 1850 wieder frei und eine Anklage eingestellt war, emigrierte er wie Reichard ebenfalls in die USA.
Beide politischen Biographien zeigen damit, wie der Konsequente Einsatz für „Einheit und Freiheit“ 1849 zu einem persönlichen Risiko werden konnte.
Das galt ebenso für viele weitere als „Hochverräter“ Angeklagte, darunter Karl Wilhelm Schmidt und Jakob Müller.
Gerichtliche Schlussstriche
Das juristische Nachspiel, das mit dem Ende der Revolution einsetzte, war überaus umfangreich. Es betraf auch das Geschehen von 1848/49 in Kirchheimbolanden.
Viele Angeklagte hielten sich jedoch inzwischen im Ausland auf. Zahlreiche Urteile konnten deshalb nicht vollstreckt werden, so etwa die gegen Ludwig Bamberger und Franz Zitz verhängten Todesstrafen. Zu beiden vermerkten die Gerichtsakten: Aufenthalt unbekannt.
Ebenso waren zwei Kirchheimbolander Revolutions-Exponenten nicht mehr im Land, sondern ebenso wie Zitz in die USA emigriert: Karl Wilhelm Schmidt und Jakob Müller auch über sie wurde die Todesstrafe ausgesprochen.

Die Anklagepunkte gegen Jakob Müller (1822-1905), ehemals Schreiber in Karl Wilhelm Schmidts Kirchheimbolander Notariat, schlüsselten seine Rolle zur Zeit der Provisorischen Regierung der Pfalz auf, dass er nämlich:

Müller wurde also ein überaus umfangreiches Spektrum von Vergehen zur Last gelegt, die sich aus seiner Funktion als Zivilkommissär für das Landkommissariat Kirchheimbolanden ergeben hatten. Das daraufhin verhängte Todesurteil konnte jedoch ebenfalls nicht vollstreckt werden. Denn seine Akte vermerkt wie bei Schmidt: Aufenthalt unbekannt.
Für beide bot die Emigration in die USA ein Neuanfang. Müller konnte sogar Vizegouverneur in Ohio und 1885 – inzwischen in Deutschland schon lange amnestiert – Generalkonsul der Vereinigten Staaten mit Sitz in Frankfurt am Main werden.
Zahlreiche weitere Kirchheimbolander Angeklagten kamen sogar ohne Strafe davon. Sie waren im Bürger- beziehungsweise Märzverein aktiv oder hatten sich in der örtlichen Bürgerwehr oder Freischar engagiert. Gegen sie wurden zwar Untersuchungen eingeleitet, aber im Dezember 1849 die jeweiligen Verfahren eingestellt. Das betraf u. a. Heinrich Bechtelsheimer, Reinhard Becker, Dr. Ludwig Hitzfeld, Leo Levi oder Georg Seyler. [Standorte 57, 59]
So wiederholte sich 1849, was auch schon 1832 nach dem Hambacher Fest der Fall war: Die Justiz befand sich mit der Zahl der Beschuldigten in einem offenen Dilemma. „Milde“ blieb nun ebenfalls der Ausweg – auch als gesellschaftsintegrativer Faktor. Und Todesurteile – wie gegen Bamberger und Zitz, Schmidt und Müller – konnten umständehalber nicht vollzogen werden.
Juristisch war die Revolution damit in der Pfalz abgeschlossen und die alte Ordnung wieder installiert. Eine nennenswerte „oppositionelle Grundstimmung“ kam nicht mehr auf. Der pfälzische Regierungspräsident Gustav von Hohe konnte 1853 sogar nach München melden: Die politischen Fragen treten zurück. Der Bau der Eisenbahn interessierte die Menschen nun weit mehr.
Auch in Kirchheimbolanden bemühte man sich 1854 um einen Bahnanschluss nach Alzey. Er kam zwei Jahrzehnte später: nach Alzey 1873 und im Jahr darauf nach Marnheim. Damit waren nun auch Mainz, Worms und Kaiserslautern erreichbar. Mobilität und wirtschaftliche Entwicklung standen jetzt an erster Stelle [Standorte 45], zumal sich im nunmehrigen Kaiserreich nationale Gedanke von 1848/49 erfüllt hatte und die Verfassung bei aller preußisch-obrigkeitstaatlichen Sinn auch parlamentarisch-repräsentative sowie föderale Elemente in Verbindung mit einem zeitgemäßen Grundrechtskatalog miteinander verknüpfte.
Für den Kirchheimbolander Bürgerverein hätten sich somit wesentliche Ziele von 1848/49 erfüllt. Und nicht zuletzt: Das allgemeine, gleiche und direkte Männerwahlrecht wurde früher als in den Nachbarstaaten institutionalisiert, mehr als das hatte auch die Verfassung von 1849 nicht versprochen.
“Gesunder Rechtszustand“
Zwar war der Pfälzische Aufstand im Juni 1849 niedergeschlagen, aber aus der militärischen Lösung resultierte nicht automatisch eine politisch tragfähige Entspannung. Das Konfliktpotenzial um „Grundrechte und Reichsverfassung“, so blieb zu befürchten, würde fortbestehen. Wenigstens wirkte jedoch das am 24. Dezember 1849 verkündete Amnestiegesetz in Bezug auf die während des Monats Mai und Juni dieses Jahres […] verübten politischen Verbrechen und Vergehen als Beruhigung der Öffentlichkeit. Noch verbleiben allerdings die als „Strafbayern“ bezeichneten bayerischen Besatzungstruppen in der Pfalz, einquartiert auch in Kirchheimbolanden. Langfristig ließ sich diese auf äußerem Zwang beruhende Pacifizierung jedoch nicht aufrechterhalten.
Das Dilemma war also offensichtlich. Friedrich Julius Stahl (1802-61), der Staatsrechtler des preußischen Konservativismus hat deshalb auch schon 1849 festgestellt: Die Revolution schlägt man nicht wie einen äußeren Feind durch die bloße Gewalt der Waffen nieder, sondern durch gleichzeitige Herstellung eines gesunden Rechtszustandes.
Daran konnte aber erst 1871 die Rede sein – mit dem nunmehr „von oben“ geschaffenen Deutschen Reich und seiner Verfassung. Bis dahin galt es deshalb für die bayerische Regierung, keine größeren Konflikte in der Pfalz aufkommen zu lassen.
Das bot dann auf der lokalen Ebene die Chance, dass auch am revolutionären Geschehen von 1848/49 Beteiligte durchaus weiterhin politisch aktiv sein konnten.
In Kirchheimbolanden ist deshalb eine erstaunliche Kontinuität im Amt des Stadtbürgermeisters festzustellen: Reinhard Becker (Bürgermeister 1858-70), Conrad Reinheimer (amtierend 1858-70) und Wilhelm Ritterspach (im Amt 1870-99) waren alle drei Mitglieder im Kirchheimbolander Bürgerverein [Standort 60] gewesen. Becker und Ritterspach sind zudem im Verzeichnis derjenigen Individuen geführt gegen welche bereits Untersuchungen liefen, die dann aber in Folge des Amnestiegesetzes eingestellt wurden.
Dass jedoch Becker und Ritterspach ebenso wie Reinheimer als Bürgermeister ihr früheres politisches Denken völlig aufgegeben hätten, ist kaum anzunehmen.
Das gilt umso stärker für den wegen seiner Rolle im Mai/Juni 1849 als einer der Kommandeure der rheinhessischen Freischaren in Kirchheimbolanden 1851 zum Tode verurteilten, dann aber amnestierten Ludwig Bamberger, denn 1871-93 gehörte er als Mitglied dem Deutschen Reichstages an.
War also inzwischen ein gesunder Rechtszustand gegeben?
1832 hatte sich für die bayerische Regierung nach dem Hambacher Fest dasselbe Problem gestellt. Der „Erfolg“ war allerdings nicht nachhaltig. Dazu ebenfalls zwei Beispiele: Johann Theobald Ritter und Carl Thieme. Beide waren beim Hambacher Fest dabei, engagierten sich für den Preßverein und hatten auch die Knöbelsche Protestation unterzeichnet. Eine politische Rolle spielten sie dann ebenfalls in der Zeit der Revolution: der eine als Mitglied des Bürgervereins, der andere als Zeitungsherausgeber.
Die auf 1848/49 hinführende oppositionelle Denken in Kirchheimbolanden hat aber nicht nur einen lokalen Ausdruck gefunden. So war der Kaufmann Jacob Anton Brogino (1776-1854) Abgeordneter im 5., 6., 8. und 9. Bayerischen Ständeversammlungen (1831-36, 39-45) gewesen und hatte sich in seiner ersten Wahlperiode ebenfalls in Bezug auf Hambach, den Preßverein wie durch seine Unterschrift zur Knöbelschen „Protestation“ engagiert.
Das Problem des „gesunden Rechtszustandes“ ist damit gleichsam der lange Faden freiheitlich- demokratischen Denkens, der 1848/49 einen auffallenden Knoten erhielt.
Und heute?
Heute erscheint die Deutsche Revolution von 1848/49 auch in Kirchheimbolanden in einer ganz anderen Perspektive als unter der konservativen staatlichen „Reaktion“ der 1850er Jahre und insbesondere nach der Errichtung des Kaiserreiches als Gegenmodell.
Dominierte nun doch der Gedanke – wie es Reichskanzler Otto von Bismarck bereits 1862 in der Preußischen Abgeordnetenkammer formuliert hatte –, dass die großen Fragen der Zeit nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse, sondern durch Blut und Eisen entschieden würden. War damit zugleich dann auch das kaiserzeitliche Urteil über die Revolution von 1848/49 gesprochen?
Kontrovers wurden die Sichtweisen dann zur Zeit der Weimarer Republik. Während sich für „Teile der Linken ein durchaus positives Revolutionsgedächtnis ergab, bildete die Verkopplung von 1918/19 und 1848/49 auf rechter Seite eher Anlass, die beiden Revolutionen gleichermaßen abzulehnen.
Ähnlich divergierend waren die Einschätzungen nach 1949: „Während in der DDR das Herz der Revolution auf der Straße, in den Barrikadenkämpfen in Berlin im März 1848, im Heckerzug in Baden und in der gewaltsamen Auseinandersetzungen in Leipzig und Dresden im Jahr 1849 verortet wurde, lag der Fokus der bundesrepublikanischen Geschichtsschreibung auf der Frankfurter Nationalversammlung und den verfassungsrechtlichen Traditionslinien, die von der Reichsverfassung vom 28. März 1849 zum Grundgesetz der Bundesrepublik von 1949 führten.“
Und heute? Ein wesentliches Narrativ bildet der von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 2021 herausgegebene Band zu 30 „Wegbereitern der Deutschen Demokratie 1780-1918“ ab. Sind darin doch auch acht „mutige Männer und Frauen“ im Kontext von 1848/49 verankert, darunter Mathilde Franziska Anneke, Robert Blum, Friedrich Hecker und Karl Schurz.
Die Frage ist deshalb, ob man hier ebenso Friedrich Glaser, Ludwig und Mathilde Hitzfeld, Obrist Seyler, Ludwig Bamberger und Franz Zitz sowie die Freischärler vom 14. Juni 1849 einreihen könnte.
Antworten bietet die Freischaren-Stadt-Tour Kirchheimbolanden.