Gefecht am 14. Juni 1849
Der 14. Juni 1849 in einer bildlichen Darstellung
Mehr noch als die Barrikade wurde das Gefecht vom 14. Juni 1849 zum Mythos. Dazu trug insbesonders die um 1880 im Mainzer Verlag von Paul Stumpf erschienene Lithographie Der Kampf der Tapferen Turner u. Freischäärer bei Kirchheimbolanden den 14. Juny 1849 bei. Stumpf, der in Kirchheimbolanden als Freischärler mit dabei gewesen ist, prägte damit ganz wesentlich die Erinnerung an das Schlossgartengefecht.
Dass dabei Turner und Freischäärer nebeneinander genannt wurden, zeigt deren in Rheinhessen enge Verknüpfung. Denn der im April 1848 gegründete Deutsche Turnerbund verstand sich von Anfang an gerade auch politisch. Wollte man doch für die Einheit des deutschen Volkes thätig sein, den Brudersinn und die körperliche und geistige Kraft des deutschen Volkes heben. Ludwig Bamberger und Franz Zitz, 1849 die beiden „Zivilkommissäre“ der rheinhessischen Freischaren in Kirchheimbolanden [Standort 46] spielten dabei in der Mainzer Turnerszene eine federführende Rolle. Innerhalb der rheinhessischen Freischaren waren „Turner“ deshalb auch sehr stark vertreten.
Der drei Jahrzehnte später bildlich dargestellte „Kampf […] bei Kirchheimboland“ malt das Geschehen vom 14. Juni 1849 im Schlossgarten in ebenso brutaler wie heroischer Weise bis zur Skandalisierung aus: Im Vordergrund des Bildes Tote und Sterbende, in heldenhafter Pose ein Unbewaffneter in bürgerlicher Kleidung, gegenüber dicht aufmarschiert und aufgestellt die preußischen Truppen, Pulverdampf liegt in der Luft. Ausgeliefertsein und Opferbereitschaft bestimmen die Szene. Es dominiert die Polarität von Gut und Böse und fordert eine Parteinahme für die Opfer geradezu heraus.

Der 14. Juni 1849 in Augenzeugenberichten
Der unmittelbarste Einblick in den „Kampf […] bei Kirchheimboland“ lässt sich aus Augenzeugenberichten gewinnen. Dabei ist allerdings vor allem zweierlei zu bedenken: Sind die Aufzeichnungen aus der Perspektive von Freischärlern oder preußischen Truppenangehörigen verfasst? Und inwieweit verstellen subjektive Einfärbungen das Bild?
Unmittelbar hinein in das Schlossgarten-Geschehen am 14. Juni 1849 führen dabei die Aufzeichnungen des Freischärlers Martin Fuchs II. aus Kirchheimbolanden benachbarten Orbis:
Ich war kaum 19 Jahre alt, geboren am 28. Oktober 1830, als ich mich den Freischärlern anschloß. […]
Wir hatten gegen die 4. preußische Division zu kämpfen, die, von Alzey kommend, den Weg über Morschheim und Orbis nach Kirchheim einschlug. Auch die Rheinhessen waren […] gekommen und hatten uns verstärkt. Wir trugen unsere Sensen und waren den Preußen gegenüber sehr schlecht ausgerüstet und organisiert. Diese hatten Zündnadelgewehre und führten auch kleine Kanonen mit sich. […] Der Plan der Preußen war uns bekannt. Sie wollten uns umzingeln und gefangennehmen, was jedoch nur teilweise geschah. Das preußische Gros der Division sollte Kirchheim von Morschheim aus angreifen, aber erst dann, wenn das Umgehungsmanöver vollständig war. Deshalb hatten sie eine Füsilierkompanie über das Dorf Orbis und den Leithof (Heide) entsendet, um Kirchheim auf der linken Seite zu umgehen. Sie hatten hier den Wald als Schutz. Über die Heuberger Mühle und Bischheim wurde eine andere Kompanie in unsere rechte Flanke geschickt.
Es war am 14. Juni 1849, als die Preußen das Artilleriefeuer gegen Kirchheim eröffneten. Fasst der ganze Haufen der Revolutionäre kehrte um und rüstete sich zum eiligen weiteren Rückzug. Aus allen Häusern der Stadt wehten weiße Fahnen, als die Preußen dort einzogen. Die Kirchheimer drohten sogar, uns im Rücken anzugreifen, wenn wir nicht sofort abziehen würden! Der Feind war ihnen jedoch zuvorgekommen.
Aus unseren Reihen bildeten sich nun ein kleiner Haufen von etwa 45 Mann der tapfer den Preußen einen energischen Widerstand entgegensetzte. Wir schämten uns, den verhaßten Eindringlingen das Feld zu räumen; denn diese hatten die ganze Division gegen uns eingesetzt. Wir wurden von zwei Mainzern angeführt: Ludwig Bamberger und Franz Zitz. Beide waren unerschrockene Draufgängen!
Zunächst suchten wir Schutz hinter dem Kirchheimer Friedhof; von dort durch die Artillerie vertrieben, fanden wir im Schloßgarten eine zweite gedeckte Stellung. Ein Teil besetzte die Frontmauer, eine anderer baute eine Barrikade am Bischheimer Tor, die übrigen waren innerhalb des Gartens. Von allen Seiten kamen die preußischen Soldaten und drängten uns in der Mitte des Schloßgartens zusammen. Alle waren verwundet, ungefähr 16 Mann wurden gefangen und 15 lagen tot auf dem Platz, davon war einer erschossen worden, nachdem er sich schon ergeben hatte. Die übrigen entflohen, darunter auch ich selbst. Die Gefangenen wurden mißhandelt und, an die Pferde der Kavallerie gebunden, fortgeführt.
Während das Gefecht tobte, hatte ich mich noch rechtzeitig entfernen können.
Wie sich das Geschehen auf der Gegenseite darstellte, beschreibt ein Brief, den ein Angehöriger der preußischen Division am 19. Juni 1849 an seine Eltern sandte:
Wir befinden uns in einer schlechten Lage, denn wir müssen fast täglich 4 Meilen marschieren und jetzt sind wir in Feindes Land. Den 14. Juni war das erste Treffen auf Kirchhainburlanden. In dieser Stadt lagen die Freischaren welche uns empfingen.
Das Städtchen war ungefähr noch 2000 Schritte vor uns, da wurde kommandiert die erste Kompanie auf dem linken Flügel, ein Zug von der 3ten zur Deckung der Artillerie, die anderen im munteren Schritt vor. Nicht lange darauf gings Bombardieren los, die Granaten und Kartätschen sausten in der Luft und das kleine Gewehrfeuer war unaufhörlich.
Aber das, liebe Eltern, können Sie glauben, in solchen Zustande fühlt man weder Hunger noch Durst, weder Gepäck noch Blasen an die Füße. Eine Stunde dauerte die Attacke, da hatten wir die Stadt in unserem Besitz, die meißten Tote von den Freischaren lagen in den Schloßgarten, und die noch so gefangen wurden, mußten sich an die Wand stellen und wurden erschossen.
Von unseren Leuten ist kein Mann geblieben, auch nicht einmal einer verwundet.
Autor einer dritten hier wiedergegebenen Aufzeichnung ist Ludwig Bamberger, einer der beiden rheinhessischen Freischarenkommandeure. Nach seinem noch im gleichen Jahr erschienenen Buch „Erlebnisse aus der Pfälzischen Erhebung im Mai und Juni 1849“ hat er vom Schlossgartengefecht erst in Anschluss Kenntnis erhalten. Trotzdem ist sein Bericht über den 14. Juni in Kirchheimbolanden von hohem Wert.
Die Zahl der anmarschierenden Preußen betrug mindestens 3000 Mann. Kavallerie und Artillerie hatten wir gar nicht. Es war mithin der Augenblick eingetreten, […] den Rückzug anzuordern. Zitz und ich fertigten also an alle einzelnen Kompanieführer schriftliche Ordres aus, sich am Gebirge her nach Dürkheim an der Haardt und von da nach Neustadt zurückzuziehen. Kurz darauf begaben wir uns nochmals auf den Sammelplatz und überzeugten uns, daß die Ordres ausgeführt waren. Es befand sich kein Mensch mehr daselbst, die Kompagnien waren abgezogen, und die preußische Artillerie feuerte die Landstraße herab, auf der wir uns befanden. Eine kurz vorher improvisierte Barrikade war verlassen, die Mannschaft bereits außerhalb der Stadt. Es war wie unmöglich länger zu Fuß zu gehen, ich ließ mir einen Wagen anspannen, Zitz setzte sich zu mir und wir fuhren auf der Straße nach Rockenhausen zu ab. Als wir etwa hundert Schritte weit hinaus waren, fiel der letzte Kanonenschuß und die Preußen zogen von der Kaiserstraße her ein. Später erst erfuhren wir, daß noch eine kleine Zahl der Unsrigen im Schloßgarten zurückgeblieben war. Sei es, daß sie das mehrmals wiederholte Hornsignal nicht vernahmen, sei es, daß sie es mißverstanden, oder daß sie überhaupt nicht weichen wollten; die Schützenkompagnie, wozu sie gehörten, zog ab, ohne zu entdecken, wo die Fehlenden seien. Die anrückenden Preußen fanden sie noch im Schloßgarten und es entspann sich dort ein Kampf. Das Gerücht meldete später, es seien dabei siebzehn Schützen gefallen.
So weit Bamberger. In seinem Bericht spiegelt sich eine ganz andere Ausgangs- und Interessenlage als in den beiden anderen Aufzeichnungen. Fuchs und der ungenannte preußische Soldat haben ihre Notizen für die innerfamiliäre Überlieferung festgehalten, Fuchs als Freischärler, der das Schlossgartengeschehen von „innen“ erlebt hat, der preußische Soldat von „außen“. Ganz anders dagegen Bamberger. Seine „Erinnerungen“ sollten als Rechtfertigungsschrift zugleich von Aussagewert in einer zu erwartetenden Gerichtsverhandlung sein, die dann auch 1851 in Abwesenheit gegen ihn geführt wurde. Die Schuld am Scheitern des „Pfälzischen Aufstandes“ lastete er in seinem Buch anderen an, der militärischen Unzulänglichkeit der pfälzischen Freischärler vor allem.
Der 14. Juni 1849 in Zeitungsberichten
Wie das Kirchheimbolander Geschehen vom 14. Juni 1849 auch außerhalb der Pfalz registriert wurde, belegt eine Reihe von Berichten in der deutschlandweiten Presse. Das begann schon mit dem Einzug der rheinhessischen Freischaren in Kirchheimbolanden Mitte Mai 1849.
So berichtete die bürgerliche-demokratisch-liberale „Kölnische Zeitung“, eines der großen überregionalen deutschen Blätter, mit einer aus der „Mainzer Zeitung“ übernommenen Notiz unter dem 16. Mai 1849:

Ebenso berichtete die in Leipzig erscheinende „Deutsche Allgemeine Zeitung“, deren Motto Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetzt ihre liberale Prägung ausweist, am 16. Juni aus der Pfalz. Dabei markiert bereits die erste Zeile den Standort des Berichterstatters:

Militärisch war in der Pfalz also schon am 14. Juni 1849 alles entschieden. In Sachsen hatten das preußische und sächsische Truppen bereits am 9. Mai 1849 geleistet. Auch hier endete der Aufstand mit der Flucht der Provisorischen Regierung.

Der 14. Juni 1849 in zwei Gedichten
Dass das Schlossgartengefecht auch lyrisch thematisiert wurde, lag im literarischen Zeitgeschmack: Die Schriftstellerei ist kein Spiel schöner Geister, kein unschuldiges Ergötzen mehr, sondern der Geist der Zeit ergreift des Schriftstellers Hand und schreibt im Buch des Lebens mit dem ehernen Griffel der Geschichte.
Ganz in diesem Sinn der 1834 erschienenen „Ästhetischen Feldzüge“ Ludolf Wienbargs (1802-72), eines Wortführers der „Jungdeutschen“, die die Literatur als „politische Meinungsbildung“ verstanden, widmete sich die Mainzer Literatin Kathinka Zitz-Halein (1801-77), verheiratet mit dem Freischarenkommandeur Franz Zitz der Bluttaufe im Garten zu Kirchheim-Bolanden. Ihr ausladendes Gedicht richtete sich an die „Mainzer Frauen“, Angehörige der Toten vom 14. Juni 1849. Tapferkeit und Pflichterfüllung, Vaterland und Freiheit bestimmen den Gedankenfluss.
Gedicht 1:
Einst noch in späten Zeiten wird die Geschichte melden
Von Kirchheim=Bolands Garten und von den dreißig Helden,
Die in ihn eingeschlossen, und mit dem Feind gerauft,
Und dort im Freiheitskampfe die Erd ́ mit Blut getauft,
Um ihren Waffenbrüdern den Rückzug kühn zu decken
Sind sie zurück geblieben und kämpften ohne Schrecken
Voll Muth zum Tod entschlossen, mit Feinden allzumal,
Die ihnen überlegen wohl tausendfach an Zahl.
Sie hielten sich im Kampfe drei lange, lange Stunden,
Da fielen siebzehn Männer an den erhaltnen Wunden.
Für wahr solch` tapfres Ringen, sah die Geschichte nie,
Sie stritten wie die Löwen, wie Helden starben sie.
Dieß war die blut`ge Taufe der deutschen Muttererde,
Damit der Reichsverfassung die volle Geltung werde.
Es war ein edles Ringen, ein heil`ges Märtthrthum –
Es kamen die Blutzeugen für deutsche Freiheit um.
Für deutsche Freiheit! – wehe! – Sie ward im Keim erstickt,
Doch ward sie nicht besieget, sie ward vom Feind erdrückt.
Der Sieg ward nicht errungen durch Muth und Tapferkeit,
Die Uebermacht allein nur entschied den Bruderstreit.
Doch ist darum die Freiheit, um die wir kühn geworben,
Das stolze Göttermädchen mit ihnen nicht gestorben.
Sie liegt jetzt nur im Schlummer und in der Zeiten Lauf,
Wacht sie einst neu gekräftet und schöner wieder auf.
Auch Christus ist gestorben, er lag in Grabesbanden,
Doch ist er nach drei Tagen zum Leben auferstanden.
Drum laßt den Mut`h nicht sinken, erhebt die Blicke frei,
Die Sonne strahlet wieder, so oft die Nacht vorbei.
Doch die in Kirchheims Garten den Heldentodt gestorben,
Die haben heil`ge Rechte auf Euren Dank erworben,
Es wird ihr Angedenken, euch ewig theuer sein
Setzt ihnen, Mainzer Frauen, d`rum einen Leichenstein.
Und auf dem Stein, den kalten, da sei es groß zu lesen,
Wie tapfer und wie muthig die Siebzehn sind gewesen
Wie sie um zu erwerben der Freiheit hohess Gut
Ihr Leben aufgeopfert, verspritzt ihr heil`ges Blut.
Dann wird in fernen Tagen, wenn wir einst nicht mehr leben,
Der Vater seinem Sohne von Euch noch Kunde geben;
Das Denkmal, das ihr setztet, sagt dann dem ganzen Land
Wie Mainzer Frau`n die Größe stets ehrend anerkannt.
Gedicht 2:
An einer stillen Stelle,
Zum grünen, kühlen Wald,
Da schläft ein braver Geselle,
Der wacht nicht auf so bald!
Er schläft in seinen Waffen,
Im Freisoldatenkleid,
An Brust und Stirne klaffen
Ihm Todeswunden weit.
Er schläft an einer Eiche
In ihren Wurzeln warm,
Es hält der Baum die Leiche
Wie einen Sohn im Arm.
Sein Schwert, sein ́ brave Klinge,
Ist auf sein Grab gesteckt,
Das Ephen es umschlinge,
Und Immergrün bedeckt,
Und junge wilde Rosen
Und Waldvergißmeinnicht,
Das für den Namenlosen
Um eine Thräne spricht!
Ihm ein Gebet im Stillen!
Und ungestört Asyl,
Der um der Freiheit willen
Gestochen hat und fiel.