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Bürgerversammlung vom 5. April 1848

“Es ist hohe Zeit“

Es ist hohe Zeit, daß sich auch in unserer Stadt der Volkswille, der Volksgeist und die Volksstimme erheben. Und an anderer Stelle wird im „Kirchheimbolander Wochenblatt“ vom 4. April 1848 betont: Nur der regste Gedankenaustausch schützt vor Einseitigkeit und der vereinte Wille kräftigt und ermuthigt, den kommenden Stürmen die Stirn zu bieten.

Es war also abzusehen, dass sich die bestehende obrigkeitsstaatliche Staatsordnung nicht ohne öffentlichen Druck in Richtung Volkssouveränität auf der Grundlage von Grundrechten und Gewaltenteilung bewegen würde.

Regster Gedankenaustausch blieb also gefragt, demokratietheoretisch würde man heute von Diskurs sprechen

Es waren also hehre Absichten, die in Kirchheimbolanden die Idee einer Bürgerversammlung aufkommen ließ. Um deshalb das Ganze von Anfang an in geordnete Bahnen zu lenken, wurden zunächst in einer Provisorischen Versammlung der Termin sowie das Inhaltliche festgelegt: 5 April, Mittwoch Nachmittags um 4 Uhr in der Peterskirche. Und als Gegenstände der Verhandlung bezeichnen wir: 1. Die Wahl eines Ausschusses zur Leitung der künftigen Bürgerversammlungen, 2. Die Besprechung der Frage: Welche materielle[n] Vortheile haben wir von der nächsten Zukunft zu erwarten?

Verantwortlich zeichnete ein von der vorbereitenden Versammlung erwählter Ausschuss. Ihm gehörten unter anderem Dr. Friedrich Glaser [Standort 53] an, der in der Folge die Führungsrolle übernahm.

Einladung

Die Einladung zur Bürgerversammlung erfolgte erst am 4. April im „Wochenblatt“. Die damit verbundene Kurzfristigkeit war in jenen Tagen kein spezifischer Einzelfall, sondern einzig der revolutionären Dynamik geschuldet, die den März und April 1848 in Deutschland bestimmte.

Dazu gehörte auch ein sprachliches Moment: das „Wir“: Welche Vorteile haben wir von der Zukunft zu erwarten? War eine solche Frage aber nicht geeignet, die Versammlung zu überfordern?

Der Bericht über den 5. April ist jedoch sehr euphorisch-zuversichtlich. Das „Wochenblatt“ vom 14. April notierte:

Die ganze Versammlung zeigt durch ihre feste, würdige Haltung, daß sie von dem Geiste durchdrungen war: Nur auf ruhige, ordnungsgemäßige, gesetzliche Art und Weise seien die großen, wichtigen Angelegenheiten des Vaterslandes wie der Gemeinde zu besprechen, sey der Weg fortzubahnen, den das Vaterland seinem schönen, hohen Ziele unaufhaltsam entgegen führe.

Der so begonnene Diskurs sollte also unbedingt weitergeführt werden. Die Versammlung wählte deshalb auch mit dem Auftrag der Vorbereitung und Leitung der Sitzungen einen Ausschuss mit Dr. Friedrich Glaser als Vorsitzenden. Die Einübung in die Demokratie wurde überaus Ernst genommen.

Das betraf auch den Termin der nächsten Bürgerversammlung: elf Tage später, diesmal sonntags und wieder am Nachmittag in der Peterskirche.

Damit begann jetzt auch die konkrete Arbeit: mit einen Aufruf an den Wo[h]llöbichen Stadtrath. Möge doch bei der bevorstehenden Stadtratswahl die volle Zahl der Sitze zur Wahl stehen und nicht nur die Hälfte, wie es die bestehende Gemeindeordnung vorsah.

Die Versammlung scheint jedoch eine erhebliche Gruppendynamik ausgelöst zu habe. So sind in der „Wochenschau“ vom 18. April vielsagende Vermischte Bekanntmachungen zu lesen.

Der Blick ging also auch weit über Kirchheimbolanden hinaus – nach Norden, wo die beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein Bestandteil des Königreiches Dänemark waren, sich aber im Zuge der allgemeinen Märzeuphorie für unabhängig erklärt hatten. Die dänische Antwort ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Unterstützung war deshalb angesagt.

“Es ist hohe Zeit“, aber

Bei der jetzigen freien Bewegung gibt sich entschieden das Bedürfniß, Kund, Volksversammlung zusammenzurufen. Doch soll dazu eine Kirche der Ort sein? Denn: In der Kirche soll eine andere Freiheit errungen werden als in den Volksversammlungen. Die Kirche soll die Menschen innerlich frei machen. Volksversammlungen folgen dagegen einem anderen Freiheitsgedanken. Und zudem: Was die Volksversammlung äußerlich erstreben, es wird über kurz oder lang wie ein Phantom an uns vorübergegangen sein. Und deshalb: Gut dürfte es daher sein, wenn das Comite der Kirchheimerbolander Bürgerversammlung [zukünftig] über ein zu den Versammlungen passenderes Local – vielleicht das Schloß? – beraten und den Bürgern Vorschlage machen wollte.

Friedrich Kemmer, Pfarr-Kandidat in Bischheim, gab damit im „Kirchheimbolander Wochenblatt“ vom 7. April 1848 sehr deutlich seine ablehnende Haltung bekannt. Die Öffnung der Peterskirche war jedoch ein entsprechender Beschluss im „Vorstand des Presbyteriums“ voraus gegangen.

Das Votum des Theologen blieb aber nicht die einzige kritische Stimme. Im gleichen „Wochenblatt“ vom 7. April 1848 äußerte sich Dr. Glaser unter der Überschrift Zur Verständigung zum Vorwurf, dass der Bürgerversammlung Sonderinteressen zu Grunde lägen, vor allem der Beamten- und Geldaristokraten. Das war ein Vorwurf, der ins Grundsätzliche ging. Glaser entgegnete darauf sehr persönlich: Ich bin nicht Beamter, und zum Geld-Aristokraten fehlt mir das zunächst Nöthige, das Geld. […] Mich hat zur Anregung der Bürgerversammlung, wie zu anderweitigem öffentlichen Auftreten nur der Wunsch getrieben, dem Allgemeinwohl zu dienen.

Waren öffentliche Bürgerversammlungen also ein zweckmäßiger Weg? Diese Frage stellte sich in gleicher Weise andernorts.

Sie führte auch in Kirchheimbolanden zur Gründung eines „Bürgervereins“ [Standort 60]. Sie erfolgte am 31. Mai 1848. Die Einladung ging vom „Bürgerausschuss“, dem Leitungsgremium der Bürgerversammlung aus.